Am Anfang standen Bahnfahrten, viele Bahnfahrten. Zu den KONSENS-Verfahren, den Entscheidungsträgern in den Ländern, den Sitzungen der bewährten und neuen Entscheidungsgremien. »Ich habe in den ersten hundert Tagen vor allem eins bestätigt bekommen: Das Arbeiten im Zug ist sehr hilfreich, um die Vielzahl der Dokumente in den Griff zu kriegen. Das ist wie bei meinem ersten Einsatz im KONSENS-Umfeld«, sagt Sven Wolfrum. Als am 1. Januar 2019 das KONSENS-Gesetz in Kraft trat, hat der Referatsleiter im Bundesministerium der Finanzen zusammen mit den beiden Stellvertretern die Gesamtleitung des Vorhabens KONSENS übernommen und damit einen Job, bei dem Reisen, Videokonferenzen und das ständig klingelnde Telefon zur Tagesordnung gehören. Schließlich sitzen ihre Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner beim föderalen Vorhaben zur Vereinheitlichung und Modernisierung der Steuersoftware nicht auf einem Flur, sondern in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen.

Im Mittelpunkt dieser Treffen und Gespräche stand, ganz klassisch, eine Bestandsaufnahme. Und zwar eine positive, oft verbunden mit dem Gefühl, offene Türen einzulaufen. »Wir arbeiten hier am erfolgreichsten Bund-Länder-Vorhaben der Verwaltung – und wir haben viele Leuchttürme vorgefunden. Tatsächlich ist im Alltag der Finanzämter schon ganz viel KONSENS angekommen. Mit ELSTER haben wir zudem ein E-Government-Verfahren von nationaler Bedeutung, das wirklich fast jeder kennt«, sagt Wolfrum. Die Stimmung sei gut, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter motiviert. »Aber wie bei jedem Change-Prozess müssen wir natürlich auch noch Überzeugungsarbeit leisten.«

Neues Gesetz, neue Strukturen

Das KONSENS-Gesetz ergänzt das Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern, das seit 2007 die Rahmenbedingungen für die gemeinsame Softwareentwicklung in der Steuerverwaltung regelt. Es gibt vor allem neue Strukturen vor. In deren Mitte: die neue Gesamtleitung, die die operative Steuerung des Gesamtvorhabens übernimmt. »Wir wandeln uns von einer gremiengeführten zu einer zentral geführten Organisation«, fasst Wolfrum zusammen. Wie bisher sind zwar weiterhin fünf Länder federführend für Entwicklung, Pflege, Betrieb und Projektorganisation rund um die Steuersoftware. Doch wo bisher die Gremien einstimmig entscheiden mussten und dafür zum Teil lange Abstimmungsprozesse benötigten, übernimmt jetzt ab einem bestimmten Punkt die Gesamtleitung.

Die große Herausforderung dabei: Das System wird im laufenden Betrieb neu aufgesetzt. Das Geschäft geht weiter, während parallel mit den neuen Strukturen auch neue Prozesse etabliert werden müssen. »Unsere wichtigste Aufgabe ist es, die Planungs-, Entscheidungs- und Abstimmungsprozesse neu zu gestalten und sie dabei zu straffen. Wir skizzieren also, wie die Dinge laufen sollten, stimmen uns dazu ab und geben das zur Umsetzung weiter an die Organisationseinheiten«, sagt Simone Robeis, die als Abteilungsleiterin im Bayerischen Landesamt für Steuern Mitglied der Gesamtleitung ist. Deren Aufgabe ist es außerdem, die Ergebnisse zu vermitteln und alle Beteiligten einzubeziehen: Schließlich sind mehr als 600 interne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei KONSENS beschäftigt. Allein die Gesamtleitung pflegt regelmäßig etwa 200 Kontakte inner- und außerhalb des Vorhabens.

Viele Beteiligte, weniger Abstimmungsrunden

Es kommt also auf die klaren Zuständigkeiten an – und die spiegelt das neue Organigramm wider: Die Entwicklungsleitungen als Vorgesetzte der Verfahrensmanagerinnen und -manager unterstützen die Gesamtleitung in ihrer Rolle als verantwortliche Ansprechpartner für die operative Softwareentwicklung in den Auftrag nehmenden Ländern. Die Aufgaben der Produktionsleitung KONSENS sind nunmehr Aufgabe der Zentralen Organisationseinheiten (ZOE). Diese ZOE sind Teil der erweiterten Gesamtleitung und somit zentrale Ansprechpartnerinnen für die 19 IT-Verfahren, die bei der Automatisierung des Steuerverfahrens zusammenwirken. Beschleunigung lautet das oberste Ziel dieser Neuorganisation, sodass die Software künftig schneller bereitgestellt werden kann. Zudem verbessern die neuen Strukturen die Transparenz. Finanzämter und IT profitieren davon, wenn sie besser über den aktuellen Status von gemeinsamen Produkten informiert sind. Eine wichtige Rolle spielt dabei die neue Facharchitektur, die Workflows und Funktionalitäten abbildet.

Ein Beispiel, wo die Entscheidungsfindung schon deutlich schneller läuft, kann Simone Robeis nennen: der Pflichtenheftprozess. In diesen Dokumenten hält die IT fest, wie und womit sie die Anforderungen aus den Finanzämtern erfüllt, die wiederum in den Lastenheften beschrieben sind. In der Vergangenheit konnten sich die Abstimmungen zu einem Pflichtenheft bis zu einem Jahr hinziehen. Jetzt sind dafür knapp drei Monate festgesetzt. Wird also einfach mehr Druck gemacht? Nein, sondern nur nicht mehr alles bis zum letzten Punkt ausdiskutiert. Stattdessen lässt die Gesamtleitung auch strittige Entscheidungsvorlagen mit gegensätzlichen Positionen zu. Denn auch in der IT-Umsetzung sind manche Fragen einfach Ansichtssache, die nicht immer zur vollen Zufriedenheit aller Beteiligten gelöst werden können.

»Jeder weiß, er kann sich innerhalb der Fristen einbringen, sein Beitrag wird gehört und bewertet«, sagt Wolfrum. »Die Zahl derjenigen, die mitreden können, ist unverändert hoch. Aber die Zahl der Abstimmungsrunden ist deutlich gesunken.« Denn am Ende liegen die Entscheidungshoheit und die operative Gesamtverantwortung bei der Gesamtleitung. »Wir sind heute relativ schnell in der Lage, diese Entscheidungen auch treffen zu können«, sagt Frauke Hesse, stellv. Referatsleiterin im Ministerium der Finanzen Nordrhein-Westfalen und Stellvertreterin in der KONSENS-Gesamtleitung. »Früher musste man immer den kleinsten gemeinsamen Nenner suchen. Das ist meist weder die schnellste noch die beste Lösung.«

Marke für leistungsfähige Steuer-IT

Fürs erste Jahr hat sich die Gesamtleitung das Ziel gesetzt, Strukturen und Prozesse zu definieren und so weit bekannt zu machen und zu etablieren, dass sie ab 2020 sukzessive fest im Alltag verankert werden. Die langfristige Vision formulieren Wolfrum, Robeis und Hesse so: KONSENS soll zu einer Organisation werden, bei der alle gern mitarbeiten – weil sie wissen, was sie tun und dass sie etwas bewegen können. Ist das Team zufrieden, so die Hoffnung, hilft das auch bei der Nachwuchssuche. Schließlich ist KONSENS kein Projekt, das irgendwann abgeschlossen ist, sondern ein Vorhaben. Das Steuerrecht ändert sich regelmäßig, auch die Technik entwickelt sich weiter, neue Prozesse werden integriert.

Hier setzt eine gute Softwarelösung an: Sie kann den Vollzug des komplexen Steuerrechts handhabbar machen, wie Juristin Robeis es ausdrückt. Die »Marke« KONSENS soll für eine leistungsstarke Steuer-IT stehen, mit deren Anwendungen die Angestellten in den Finanzämtern gern arbeiten. Auch den Steuerbürgerinnen und Steuerbürgern kommt es entgegen, wenn sie komfortabler ihre Steuern erklären können – und am Ende schneller ihren Steuerbescheid bekommen. »Es ist der Auftrag der Steuerverwaltung, den Staat mit den nötigen finanziellen Ressourcen zu versorgen. Und das geht einfacher, effizienter und kostengünstiger, wenn die IT dahinter modern und die Strukturen gut organisiert sind«, sagt Wolfrum. Daran arbeite die Gesamtleitung. Sogar während der Bahnfahrten.

 


Fotos: Bildschön/Boris Trenkel

Anmerkung:

Zum 1. August 2022 hat Sven Wolfrum die Leitung der Steuerungsgruppe IT übernommen. Er ist seither nicht mehr KONSENS-Gesamtleiter.

Seit 1. Juli 2023 ist Simone Robeis die Vertretung des Landes Bayern in der Steuerungsgruppe IT. Sie ist seither nicht mehr die Stellvertretung der KONSENS-Gesamtleitung.

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