Unterwegs in eine neue Welt

Eine moderne Software für alle Finanzämter: So lautet das Ziel bei KONSENS. Warum ist das so wichtig? Und wie sieht der Status quo aus? Ein Blick hinter die Kulissen.

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Sven Wolfrum

»Im politischen Raum und bei den Rechnungshöfen wird KONSENS an der Vereinheitlichung und der Auslieferung zeitgemäßer, moderner Software gemessen.« 

Ob in Flensburg, Frankfurt oder Freudenstadt: Wenn in den mehr als 600 Finanzämtern in Deutschland morgens die Rechner hochfahren, sollen die Bearbeiterinnen und Bearbeiter überall auf dieselben Programme zugreifen. Das klingt logisch – immerhin gilt in allen Ländern das gleiche Steuerrecht, und das muss in gleicher Weise angewendet werden. Andererseits ist es auch herausfordernd, denn historisch ist die Steuer-IT in Deutschland föderal gewachsen. Erst 1991 gab es den ersten Anlauf, die heterogenen Strukturen zusammenzuführen. Seit 2007 entwickeln Bund und Länder die Software im Gesamtvorhaben KONSENS gemeinsam. Eines der vordringlichsten Ziele von Anfang an: einheitliche Verfahren schaffen. 

2022 hat das oberste strategische Gremium, die Steuerungsgruppe-IT (Stgr-IT), Vereinheitlichung als eines der Ziele bestätigt, an denen sich die Vorhabensplanung ausrichtet. »Das strategische Ziel der Vereinheitlichung muss im Kontext des Verwaltungsabkommens von 2007 und des KONSENS-Gesetzes betrachtet werden. Es geht im Kern darum, dass in allen Finanzämtern die gleiche modernisierte, von KONSENS bereitgestellte Software zum Einsatz kommt«, sagt Sven Wolfrum, der die Steuerungsgruppe-IT leitet. Dabei dürfe man die Vereinheitlichung nicht von der Modernisierung trennen: Schließlich nutze es niemandem, wenn die IT-Lösungen zwar überall gleich, aber nicht zeitgemäß sind – das sei weder im Sinne der Anwenderinnen und Anwender in den Ämtern noch entspräche es den Erwartungen der Politik. »Die beiden Ziele muss man immer zusammen denken«, so Wolfrum. »Eine Mammutaufgabe.« 

Was das in der Umsetzung bedeutet? Das weiß Simone Robeis, die bis Juni 2023 als Mitglied der Gesamtleitung dafür zuständig war, die strategische Zielrichtung auf operativer Ebene zu lenken. Robeis spricht von zwei Ebenen der Vereinheitlichung: Erstens gehe es um die Software in den Finanzverwaltungen der Länder – mit dem Ziel, dass am Ende wirklich alle die gleichen Anwendungen nutzen. »Hier sind wir schon sehr weit vorangeschritten«, zieht sie Zwischenbilanz. »Die meisten Länder haben in den wichtigsten Bereichen einheitliche Verfahren im Einsatz.« Zweitens bedeute Vereinheitlichung, feste Standards für die Prozesse und die Technik rund um die Steuer-IT zu etablieren. Hier ist die Gesamtleitung in der Verantwortung, zusammen mit den Zentralen Organisationseinheiten (ZOE). Konkret kümmert sich etwa die ZOE Anforderungsmanagement darum, dass alle Verfahren ihre Aufgaben und Wünsche auf dieselbe Art und Weise anmelden. Und die ZOE Architekturmanagement gibt die technische Zielarchitektur vor, die die Grundlagen für die Entwicklung einer modernen, modularen Software setzt. 

MEHR ALS NUR EIN NEUER ANSTRICH

Einfach ist das alles nicht: »Je mehr es ins Detail geht, desto schwieriger wird es und desto weitreichender sind die Änderungen«, sagt Robeis. »Zudem liegt der Teufel immer im Detail – und in komplexen Systemen gibt es viele Details.« Man könne sich das so vorstellen, als solle ein Fuhrpark vereinheitlicht werden: Die Karosserien in derselben Farbe zu lackieren, sei die leichteste Übung. Aber wenn die Antriebstechnik, der Kraftstoffbedarf oder die Umgebung – um im Bild zu bleiben: Tankstellen, Garagen und Werkstätten – angeglichen werden sollen, erfordere das tiefgreifende Anpassungen. Gleichzeitig muss die Flotte aber immer fahrtüchtig sein: Schließlich müssen die IT-Systeme der Steuerverwaltung jederzeit sicher funktionieren, um das Haushaltsaufkommen und das Gemeinwohl zu sichern, während zu guter Letzt ständig neue gesetzliche Anforderungen eingehen; sprich: sich die Rechtslage ändert. »Dadurch besteht die Herausforderung, dass die Fahrpläne für Modernisierung und Vereinheitlichung ständig überplant und an den Prioritäten ausgerichtet werden müssen«, sagt Sven Wolfrum. Nach aktuellem Stand solle die Vereinheitlichung zu Ende des Jahrzehnts bundesweit abgeschlossen sein. »Einer für Alle« sei weiterhin der richtige Weg. Sonst müssten die 16 Länder schließlich von vorne starten und eigene Software entwickeln, was teuer und fehleranfällig wäre. »Im Übrigen hat die Steuerverwaltung mit ELSTER ein herausragendes digitales Verwaltungsangebot«, so Wolfrum. 2022 gingen darüber 62,2 Millionen Steuererklärungen ein, ein neues Rekordhoch. »Es wäre doch schlecht, wenn hinter dem Portal jeder wieder seine eigenen Prozesse gestalten müsste.« 

Während ELSTER den meisten seit Jahren ein Begriff ist, sieht das bei den 18 weiteren KONSENS Verfahren anders aus, die hinter den Kulissen der Finanzämter geräuschlos ineinandergreifen. Im Mittelpunkt stehen dabei die drei Kernverfahren GINSTER (= Grundinformationsdienst Steuer), ELFE (= Einheitliche länderübergreifende Festsetzung) und BIENE (= Bundeseinheitliche integrierte evolutionäre neue Erhebung). Ohne diese drei könnte die Steuerverwaltung aus der Steuererklärung keinen Steuerbescheid erstellen, viele der jährlichen Gesetzesänderungen spiegeln sich darin wider. Strategische Ziele in KONSENS setzen daher bei diesen Kernverfahren an. »Wir haben die ersten Schritte geschafft und stehen bezüglich der Erhebung vor einem Meilenstein«, sagt Wolfrum. »Mit der Fertigstellung der ersten Hauptstufe für die Erhebung wird mit BIENE nach GINSTER das zweite von drei Kernverfahren in seinen wesentlichen Funktionen modernisiert zur Verfügung stehen.« Auch im Bereich Veranlagung seien wichtige Schritte bereits gegangen. So hat ELFE bundesweit alle Programme zur Steuerberechnung einheitlich im Einsatz, Rechtsänderungen müssen nur einmal umgesetzt werden. Bei der Datenhaltung hat man sich auf ein Format geeinigt und erste Festsetzungsdaten migriert; bei einer Steuerart ist die neue Datenhaltung bereits die führende Datenhaltung. Und in den nächsten Monaten wird die Überführung der Bearbeitungsoberflächen in ein einheitliches Oberflächen-Framework abgeschlossen, das denjenigen, die die Steuererklärungen bearbeiten, den Bereichswechsel erleichtert.

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Simone Robeis

»In den letzten 15 Jahren haben wir nicht nur vieles vereinheitlicht – vieles haben wir auch gemeinsam und von vornherein einheitlich vorangetrieben.«

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Matthias Wolf

»Unser Ziel mit BIENE ist eine neue einheitliche Software, die in allen Ländern eingesetzt werden kann. Mittlerweile haben wir im Wesentlichen die entwicklungstechnische Fertigstellung erreicht.«

BIENE KOMMT — MIT EINEM »BIG BANG«

Was es mit dem bevorstehenden Meilenstein bei der Erhebung auf sich hat, kann Verfahrensmanager Matthias Wolf berichten, der mit seinem rund 70-köpfigen Team für das neue Kernverfahren zuständig ist. »Die entwicklungstechnische Fertigstellung haben wir im Wesentlichen erreicht«, sagt er; nun stehen die abschließenden Tests in einer produktionsnahen Testumgebung an. 2024 soll BIENE dann in den ersten bayerischen Finanzämtern ausgerollt werden, bevor ab 2025 weitere Finanzkassen in Bayern und dann stufenweise die anderen Länder folgen. Das bisherige Nebeneinander von zwei großen Verfahren in der Erhebung – GEV und IABV – wäre mit der geplanten »Big-Bang-Ablösung« hin zu BIENE passé: So heißt es in der IT, wenn eine neue Software in einem Schritt alle Funktionen übernimmt und das bestehende Verfahren abgeschaltet wird. »Danach fahren wir in der neuen Welt weiter – ohne Brücken zur alten Welt«, sagt Wolf. Damit das kein Sprung ins kalte Wasser wird, werden Abhängigkeiten vorab genau unter die Lupe genommen. Schnittstellen habe man gemeinsam konzipiert, umgesetzt und im Rahmen sogenannter Integrationsmeilensteine seit 2015 sukzessive gemeinsam getestet, so Wolf: »BIENE hat Schnittstellen zu fast allen KONSENS-Verfahren. Mehr als zehn Nachbarverfahren speichern in und lesen aus der BIENE-Erhebungsdatenhaltung.« Kein Wunder also, dass er die integrativen Tests neben dem eigentlichen Kerngeschäft als »einen wesentlichen Teil unserer Entwicklung« bezeichnet. 

Während die Anwenderinnen und Anwender in den Finanzämtern von einem einheitlichen »Look and Feel«, mehr Systemstabilität und innovativen Zusatzfunktionen profitieren, bringt die BIENE-Einführung auch den Entwicklungsteams Vorteile: Auf einer vereinheitlichten Basis können sie schneller und gezielter neue Funktionen umsetzen, was wiederum unmittelbare Vorteile für die Bürgerinnen und Bürger sowie die Finanzämter bedeutet. Das gilt für KONSENS als Gesamtvorhaben, wie Markus Wallisch, Verfahrensmanager GINSTER, betont: »Wenn alle auf derselben Ebene operieren, kann ein großer Teil der aktuellen Komplexität abgebaut werden. Das schont Budget und Ressourcen, entlastet die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und schafft Luft für andere Aufgaben.« 

MEHR AUTOMATISIERUNG DANK VEREINHEITLICHUNG

Mit GINSTER hat Wallisch bereits vor drei Jahren den wichtigen Schritt Richtung Vereinheitlichung erreicht: Anfang 2020 wurde der größte Teil der Steuerkonten, nämlich alle Veranlagungssteuerkonten, mit GINSTER-Master in allen 16 Ländern in die KONSENS-Verantwortung übernommen. »Das ist die Basis für viele Dinge, die wir jetzt und demnächst anbieten können«, sagt er und nennt gleich drei Beispiele, wie sein rund 50 Personen starkes Team die digitale Steuerverwaltung voranbringt: die Einführung der einheitlichen Wirtschafts-Identifikationsnummer (W-IdNr), die künftig an alle wirtschaftlich Tätigen ausgegeben wird. Der digitale Verwaltungsakt DIVA 2, mit dem Bescheide nun über ELSTER digital abgerufen werden können. Und die Weiterentwicklung der Vollmachtsdatenbank, wo mittlerweile ein Automatisierungsgrad von mehr als 96 Prozent erreicht sei: »Früher mussten Vollmachten in den Ämtern abgetippt werden, was fehleranfällig war, oder sie mussten oft für andere Stellen kopiert werden. Damit haben Bearbeiterinnen und Bearbeiter heute nichts mehr zu tun«, so Wallisch. Trotzdem ist bei GINSTER das Projekt »Vereinheitlichen « nicht abgeschlossen: Noch pflegt das Team einige großrechnerbasierte Konten, weil andere Verfahren darauf zugreifen müssen, noch laufen nicht alle Steuerarten komplett auf GINSTER-Master. Er sei aber zuversichtlich, diesen Schritt im Schulterschluss mit den anderen Verfahren demnächst gehen zu können, sagt Wallisch. 

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Markus Wallisch

»Wir bekommen eine verlässliche und skalierbare Software, die zentral erstellt wird. Im Vordergrund steht, dass sie gleichmäßig und bedienerfreundlich nutzbar ist.«

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Meike Goldstein

»Auf einer einheitlichen technischen und fachlichen Basis können wir die Bearbeiterinnen und Bearbeiter maschinell besser unterstützen und die Auto-Fall-Quote weiter erhöhen.«

Ähnlich geht es Meike Goldstein, Verfahrensmanagerin ELFE, die das größte Entwicklungsteam leitet: In 12 Ländern sind etwa 300 Beschäftigte mit unterschiedlichen Anteilen für ELFE tätig, was insgesamt fast 150 Vollzeitäquivalenten entspricht. »Wir sind schon ziemlich weit mit der Vereinheitlichung – die bedeutet aber einfach viel Arbeit. Ich gehe davon aus, dass wir in der zweiten Hälfte der 2020er Jahre damit fertig werden«, sagt sie. Die Zusammenarbeit mit den anderen Kernverfahren sei dabei ein wichtiger Hebel. »Wir haben zwar unterschiedliche Strategien bei der Vereinheitlichung, sind aber trotzdem ständig im Gespräch und bereit, auf die Bedürfnisse der anderen einzugehen und deren Schwierigkeiten mitzudenken«, so Goldstein. Als nächste Herausforderung reize sie mit ELFE nun, die technische Zielarchitektur 2025 auf erste Pilotsteuerarten anzuwenden – ein Schritt in die »neue Welt«, der den Weg bereite, um langfristig mit der technischen Entwicklung Schritt zu halten. Denn Vereinheitlichung und Modernisierung seien anspruchsvolle Langfristprojekte. »Das ist ähnlich, wie auf den Mount Everest zu steigen. Wir nehmen eine Mannschaft mit unterschiedlichen Stärken und Schwächen mit, wollen und können aber niemanden zurücklassen. « Die Voraussetzungen seien gut: »Die meisten sind schon am Basislager, ein paar wenige sogar schon darüber hinaus. Und alle sind fit für diese Aufgabe. Zusammen mit den Nachzüglern geht’s hinauf auf den Gipfel.«

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