"Wir machen Pionierarbeit im KONSENS-Kosmos"
Dr. Anna Kindhäuser betreut den digitalen Gewerbesteuerbescheid. Anfangs machten eine Hand voll Kommunen mit – heute rund 700. Das Ziel: der einheitliche Gewerbesteuerbescheid. Einfach. Sicher. Papierlos.

Dr. Anna Kindhäuser
Dr. Anna Kindhäuser ist Principal Project Manager bei der ]init[ AG in Berlin. Sie leitet seit 2020 das Projekt digitaler Gewerbesteuerbescheid und ist damit von Beginn an dabei.
»Es ist wichtig, dass alle Beteiligten kontinuierlich im Austausch bleiben. Bewährt hat sich ebenfalls, dass wir regelmäßig Best-Practice-Beispiele vorstellen, an denen sich andere orientieren können.«
Frau Kindhäuser, die Gewerbesteuer zählt zu den wichtigsten Einnahmequellen für Kommunen. Welche Vorteile hat ein einheitlicher, digitaler Bescheid?
Zu Beginn unseres Projekts gab es mehr als 600 verschiedene Formate für den Gewerbesteuerbescheid in den Kommunen. Das ist ein extremer Aufwand, gerade für größere Unternehmen, die in vielen Kommunen Standorte haben, zum Beispiel Supermarktketten. Die Mission unseres Projekts war daher, Unternehmen den digitalen Empfang und die automatisierte Bearbeitung von Gewerbesteuerbescheiden zu ermöglichen. Heraus kam der digitale Bescheid als PDF-Dokument mit eingebettetem XML-Datensatz, der sowohl für Menschen als auch für Maschinen lesbar ist. Damit wird der Prozess komplett digital bearbeitbar. Diesen Prozess haben wir gemeinsam mit der Finanzverwaltung sowie mit den Unternehmen, Kommunen und Fachverfahrensherstellern entwickelt und darin die verschiedenen Anforderungen gebündelt.
Welche Anforderungen haben Sie darin gebündelt?
Wir haben die Anforderung des Onlinezugangsgesetzes nach nutzerfreundlicher Digitalisierung durch den einheitlichen, menschen- und maschinenlesbaren Bescheid sowie die medienbruchfreie Abwicklung von der Steuererklärung bis zum Empfang des Bescheids umgesetzt. Gerade für größere Unternehmen bedeutet das eine enorme Einsparung an Zeit und Arbeitskosten. Für die Medienbruchfreiheit des Prozesses ist zudem die vollständige Digitalisierung innerhalb der Verwaltung von zentraler Bedeutung. Also, dass das Land elektronisch Daten an die Kommune weitergibt und die Kommune die Daten auch elektronisch verarbeiten kann bis zur automatisierten Zustellung des Bescheids in ein elektronisches Postfach. Dies wiederum hat für die Kommunen erhebliche Vorteile.
Und welche Vorteile haben die insgesamt 11.000 Kommunen?
Wir haben schnell festgestellt, dass die gesamte Prozesskette digitalisiert werden muss. Es ist extrem fehleranfällig, wenn Datensätze zwischendurch per Hand eingetippt werden müssen oder sogar noch handschriftlich ergänzt werden. Die Digitalisierung und Automatisierung der Arbeitsprozesse bedeuten eine enorme Steigerung der Effizienz und Reduzierung von Fehlerquellen. Das kommt den Kommunen gerade beim wichtigen Thema Fachkräftemangel zugute. Die Stadt Frankfurt am Main beispielsweise konnte durch die Einführung der elektronischen Akte und des elektronischen Datenaustauschs mit der Landesverwaltung ihre Abläufe teilweise automatisieren, Medienbrüche reduzieren und dadurch Bearbeitungszeit in Höhe von 76 Prozent gegenüber der analogen Bearbeitung einsparen. Durch die Zeitersparnis ist es möglich, eine steigende Anzahl an Gewerbetreibenden zu betreuen und neue Tätigkeiten in den Arbeitsbereichen der Mitarbeitenden zu integrieren.
Heute sind knapp 700 Kommunen aktiv beteiligt. Eine Erfolgsstory aus Ihrer Sicht?
Auf jeden Fall! Wir haben so viele Akteure am Tisch: der Bund, die 16 Länder, die einzelnen Kommunen, die Fachverfahrenshersteller, die Wirtschafts- und kommunalen Verbände, die Unternehmen, die kommunalen IT-Dienstleister, die Steuerberaterkammern und, und, und. Über die 700 aktiven Kommunen hinaus haben wir aktuell circa 2.000 Kommunen, die direkt eingebunden sind, zum Beispiel an Länderarbeitskreisen teilnehmen oder über die Informationskanäle wie Website und Newsletter auf dem Laufenden gehalten werden. Deutschlandweit sind durch individuelle Informationskampagnen der Landesfinanzministerien noch erheblich mehr Kommunen über das Projekt informiert. Die gute Vernetzung zwischen all diesen Beteiligten ist das A und O, denn es sind ja drei Ebenen involviert: der Bund, die Länder – und die Kommunen. Daher kam auch das Gesamtvorhaben KONSENS zügig dazu: Wir brauchten die Infrastruktur von ELSTER, um darauf den digitalen Prozess aufzusetzen.
Seit 2024 ist es nun ein KONSENS-Projekt. Wie läuft die Zusammenarbeit?
Wir sind gerade dabei, Projektbestandteile in die KONSENS-Strukturen zu überführen. Das schafft sehr viele Synergien. Wir arbeiten sehr eng und gut mit den Verfahren ELSTER, ELFE und GeCo zusammen. Uns eint der Fokus auf ein gemeinsames Ziel: Alle sind sehr engagiert und wollen gemeinsam eine gute Lösung erreichen. Ohne diese konstruktive Grundhaltung wäre der Erfolg niemals möglich gewesen. Und nicht nur das: Es braucht auch immer wieder neue Anstöße, zum Beispiel die neue Spezifikation für den länderübergreifenden Zerlegungsbescheid, die wir gemeinsam mit den Ländern konzipiert haben, derzeit in Nordrhein-Westfalen pilotieren und dann für alle KONSENS-Länder nutzbar machen.
Bei all diesen vielen Akteurinnen und Akteuren am Tisch: Wie schafft man es, dass alle zufrieden bleiben – inklusive Sie selbst?
(lacht) Wir haben das Motto: Schritt für Schritt. Man braucht einen langen Atem und darf sich nicht entmutigen lassen, wenn es mal kompliziert wird. Unser Vorgehen ist iterativ. Es ist wichtig, dass alle Beteiligten kontinuierlich im Austausch bleiben, und wir wissen, ob sie zufrieden sind. Bewährt hat sich ebenfalls, dass wir regelmäßig Best-Practice-Beispiele aus den Ländern und Kommunen vorstellen, an denen sich andere orientieren können. Zudem haben wir ein Servicedesk, an das sich alle Beteiligten stets wenden können. Das Angebot umfasst quasi ein Rund-um-Paket mit regelmäßigen Onboarding-Veranstaltungen und Länderarbeitskreisen zu Neuerungen. Und zu guter Letzt: man muss auch die Erfolge feiern, von denen es eine Menge gibt.
Der jüngste war im Dezember 2024…
Genau. 2024 haben wir die nächste Stufe der Standardisierung erreicht: Da wurde der digitale Gewerbesteuerbescheid als Fachmodul von XUnternehmen umgesetzt. Konkret bedeutet dies, dass dadurch eine verbindliche Nutzung und kontinuierliche Pflege des Datenmodells geschaffen wird. Und zuvor hatten wir mit dem Hessischen Ministerium der Finanzen 2023 den eGovernment-Wettbewerb in der Kategorie „Bestes Projekt zur Umsetzung OZG- oder Registermodernisierung“ gewonnen.
Was waren darüber hinaus die wichtigsten Meilensteine?
Sicherlich die Gründung des regelmäßigen Steuerungskreises 2020, der alle Länder, ausgewählte Kommunen, den Bund und KONSENS-Verfahren einbindet. Dann 2021 der technische Durchstich mit der hessischen Kommune Oberursel, der klar gezeigt hat, dass die Übermittlung mithilfe der ELSTER-Infrastruktur funktioniert. Und 2022 wurde die Spezifikation des digitalen Gewerbesteuerbescheids veröffentlicht. Seit Anfang 2025 haben wir außerdem unsere neue Website www.digitaler-gewerbesteuerbescheid.de, die alle wichtigen Informationen bündelt.
Die Wirtschaft fordert weniger Bürokratie und mehr Digitalisierung der Verwaltung: Wie gut sehen Sie das in der Praxis für die Finanzverwaltung umsetzbar?
Wir sind bei der Digitalisierung und beim Bürokratie-Abbau mit KONSENS gut aufgestellt. Wir können schon jetzt in der Steuerverwaltung in vielen Prozessen zügig arbeiten. Einen zusätzlichen Schwung für den großflächigen Roll-out des digitalen Gewerbesteuerbescheids verspreche ich mir von dem Bürokratieentlastungsgesetz, das 2026 in Kraft treten wird. Die Kommunen hatten zudem wegen der Grundsteuerreform alle Hände voll zu tun. Die Grundsteuer hatte für sie oberste Priorität. Auch diese ist jetzt eingeführt und weitgehend umgesetzt. Ich schaue also sehr positiv in die Zukunft. Der digitale Gewerbesteuerbescheid kann zusätzlich als Blaupause für andere Projekte dienen. Wir machen mit unserem ebenenübergreifenden Vorgehen, mit unseren bewährten Strukturen und geknüpften Kontakten gerade Pionierarbeit im KONSENS-Kosmos, von der auch andere künftig profitieren.
Zum Schluss die Rückkehr zu den Kommunen: Was gab es hier auch an persönlichen Rückmeldungen für die ganze Fleißarbeit?
Die Kommunen sind sehr dankbar. Wir bekommen von allen Kommunen, mit denen wir im engen Austausch sind, sehr positive Rückmeldungen. Vor allem für den praxistauglichen Support, den wir rund um den digitalen Gewerbesteuerbescheid immer geleistet haben und noch heute leisten. Man muss sagen: Alle Ebenen tragen das Projekt mit ihrem großen Engagement. Alle wollen das schaffen, den digitalen Gewerbesteuerbescheid zu etablieren. Und dadurch bleibt bei uns auch das Motivationslevel bis heute hoch. Bei allem Digitalen: Ohne diese menschliche Leistung wäre es nicht gegangen.