GEMEINSAM

VORAUS
 

2007 trat das Verwaltungsabkommen KONSENS in Kraft – bis heute eine der Grundlagen, auf denen Bund und Länder bei der Entwicklung der Steuer-IT zusammenarbeiten. Inzwischen ist daraus das erfolgreichste eGovernment-Vorhaben der Verwaltung entstanden.

Das Steuerrecht ist bundesweit einheitlich. Daher ist es weder effizient noch sinnvoll, in den Ländern parallel unterschiedliche Softwareprodukte dafür zu entwickeln«, sagt Thomas Quade. »Schon als das Verwaltungsabkommen KONSENS 2007 in Kraft trat, waren die Vereinheitlichung und die Modernisierung der IT in der Steuerverwaltung das große Ziel.« Allerdings setzte man sich das Ziel damals nicht zum ersten Mal: Mit dem 1991 beschlossenen FISCUS-Projekt und der 2001 gegründeten fiscus GmbH waren zuvor zwei Ansätze gescheitert, die Steuer-IT in Deutschland zusammenzuführen. Während beim FISCUS-Projekt jedes Land Programmieraufgaben übernommen hatte, war die fiscus GmbH privatwirtschaftlich organisiert. Allerdings sei es schwierig gewesen, das in den Ländern vorhandene Know-how am Standort Bonn zu bündeln, erinnert sich Quade, damals Abteilungsleiter der fiscus GmbH und heute Gruppenleiter im Ministerium der Finanzen Nordrhein-Westfalen. Beim Start von KONSENS sei die Stimmung trotzdem optimistisch gewesen: »Die vorherigen Fehler hatte man genau analysiert. KONSENS war von Anfang an anders aufgestellt. Die Mission war zwar dieselbe, aber die Strategie, die Art und Weise der Zusammenarbeit, machten den entscheidenden Unterschied.«

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Thomas Quade

»Wir wollen die Vereinheitlichung der Software abschließen und die Modernisierung konsequent fortführen. Damit sind wir besser der Personalgewinnung und der effizienten Pflege der IT.«

Bereits 2004 – der Bundeskanzler hieß da noch Gerhard Schröder, der Bundesfinanzminister Hans Eichel – hatte die Finanzministerkonferenz die Weichen für die neuen Strukturen der Zusammenarbeit gestellt, die mit dem Verwaltungsabkommen von 2007 festgeschrieben wurden: Die fünf Länder Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen übernehmen die Verantwortung und entwickeln die Software im Auftrag des Bundes und aller 16 Länder. In der Steuerungsgruppe IT, der auch Thomas Quade angehört, entscheiden der Bund und die fünf Steuerungsgruppenländer darüber, wie die Anforderungen nach Nutzen und Dringlichkeit priorisiert werden. Die anderen elf Länder sind bei der Genehmigung des jährlichen Vorhabenplans und an der Finanzierung beteiligt, halten sich aber aus der operativen Steuerung heraus. »Das war ein Meilenstein der föderalen Zusammenarbeit«, erinnert sich Sven Wolfrum. Er war vor 15 Jahren auf Seiten des Bundes für das Abkommen zuständig und ist heute Gesamtleiter des Gesamtvorhabens.

»Wir wollten schon damals die Software für Deutschland so effektiv wie möglich entwickeln«, sagt er. »Dafür war die Einigung auf KONSENS essenziell.«

IT-Systemhaus für 100.000 Beschäftigte

Seither hat sich bei der Steuer-IT viel getan. Die Software bei KONSENS wird mittlerweile in 19 Verfahren entwickelt, mehr als 240 KONSENS-Produkte sind im Einsatz. Das jährliche Planbudget hat sich seit 2007 auf 189 Millionen Euro ver- vierfacht. »Man kann sich KONSENS inzwischen als IT-Systemhaus mit mehr als 1.200 Mitwirken- den vorstellen, die jeden Tag an Lösungen für die Bürgerinnen und Bürger, die Unternehmen und die Mitarbeitenden in den Finanzämtern arbeiten«, sagt Sven Wolfrum. Mehr als 100.000 Beschäftigte an rund 550 Standorten nutzen dort die Software – nur eine Handvoll Konzerne in Deutschland hat überhaupt mehr Personal. Kein Wunder, dass bei dem IT-Systemhaus dahinter die Verantwortlichkeiten klar geregelt sein müssen.

Eine wichtige Säule ist dabei das EfA-Prinzip, kurz für: einer für alle. Konkret heißt das, dass eines der fünf Auftrag nehmenden Länder die Verantwortung übernimmt, wenn Programmierarbeiten anstehen – alle anderen verpflichten sich, die Lösung im Nachgang zu übernehmen. »KONSENS hat EfA schon 2007 zum Prinzip erhoben. Was jetzt im Onlinezugangsgesetz als großer Sprung beschrieben wird, machen wir seit 15 Jahren«, sagt Holger Hartmann. Der Jurist ist Automationsreferent im Staatsministerium der Finanzen in Dresden. In seinem Bereich werden die sächsischen Anforderungen an die KONSENS-IT gebündelt und später, nach der Lieferung des neuen Produkts, dessen Einsatz organisiert. Alles, was dazwischen passiert, hätten die Länder, die nicht Teil der Steuerungsgruppe IT sind, lange Zeit als Blackbox empfunden: »Die Erstellung der Lastenhefte, der Pflichtenhefte, der Beginn der Programmierung – da wussten wir nicht: Wie weit sind wir? Wo liegen Probleme?« Um das zu ändern, wurde schließlich die AG Transparenz gegründet, der Hartmann angehört. »Wir wollten mehr Transparenz herstellen, Prozessoptimierungen anstoßen und neue Ideen einbringen«, erinnert er sich. Das sei auch gelungen. Etwa mit der Weiterentwicklung des Informationstools KONVIC, über das sich mittlerweile der Fortschritt der Produkte erkennen lässt. »Es reicht ja eigentlich, wenn sich fünf Finanzverwaltungen den Kopf zerbrechen –da müssen nicht 16 drüber reden«, sagt Hartmann schmunzelnd. Im Grunde spiegle das »den Geist von KONSENS: dass elf Länder auf Kompetenzen verzichten, damit die Software schneller kommt und effizienter programmiert wird.«

Das Highlight? Das Miteinander

Trotz der klaren Arbeitsteilung gibt es nur wenige IT-Leistungen bei KONSENS, die ein Land »einfach so runterprogrammieren könnte«, wie Thomas Quade es ausdrückt, meist gibt es gleich mehrere Schnittstellen zu anderen Verfahren. Dass am Ende aber doch immer eine verlässliche Software für die Steuer-IT steht und das Miteinander über Länder- und Verfahrensgrenzen hinweg funktioniert, ist sein Highlight der letzten 15 Jahre: »Wir haben mehrfach gezeigt, dass wir Komplexität gut koordinieren können. Wie wir zusammenarbeiten und wie die Lösungen ineinandergreifen, das macht KONSENS aus«, sagt er. Ein Beispiel dafür hat Quade auch parat: die Vorausgefüllte Steuererklärung. Die basiert auf Meldungen aus dem KONSENS-Mitteilungsverfahren (KMV). Und das wiederum wurde ursprünglich eingeführt, um den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Risikomanagement der Finanzämter die Arbeit zu erleichtern – also denjenigen, die mit automatisierter Unterstützung die Steuererklärungen prü- fen. »Wir haben mit dem KONSENS-Mitteilungsverfahren eine Möglichkeit geschaffen, zentral Mitteilungen von Dritten einzuholen, etwa von den Arbeitgebern oder den Rententrägern, die über das Verfahren Risikomanagementsysteme maschinell ausgewertet werden. Daraus entstand die Idee, diese Mitteilungen den Bürgerinnen und Bürgern über ELSTER direkt bereitzustellen«, erinnert sich Quade. »Mittlerweile verwalten wir über das KMV mehr als eine Milliarde Mitteilungen.«
 

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Holger Hartmann

»Wenn manche Verwaltungen gerade einmal PDFs annehmen können, zeigt mir das, wie sehr sich das EfA-Prinzip bei KONSENS bewährt hat. Diese Diskussion haben wir vor 20 Jahren geführt.«
 

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Sven Wolfrum

»KONSENS ist meiner Einschätzung nach das erfolgreichste eGovernment- ein gutes Beispiel für die föderale Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern.«
 

Das Beispiel zeigt: Die Verfahren bei KONSENS hängen eng zusammen. Neben den Neuentwicklungen stehen die Altverfahren, manche Software wurde vor 50 Jahren konzipiert. Um die Komplexität noch besser in den Griff zu bekommen, ist seit 2019 das KONSENS-Gesetz anzuwenden – formuliert aus der Erkenntnis heraus, dass die wachsende Organisation von neuen Strukturen profitieren wird. Entsprechend definiert es vor allem neue Prozesse und eine zentrale Steuerung. Am sichtbarsten dabei: die neue Gesamtleitung.
»Die ersten drei Jahre waren von administrativen Aufgaben geprägt«, zieht Gesamtleiter Sven Wolfrum eine Zwischenbilanz. Die größte Heraus- forderung sei es gewesen, ad hoc einen Veränderungsprozess anzustoßen, während sichergestellt werden musste, dass die Software in den Ländern weiter funktioniert und betrieben werden kann. Mittlerweile wurden die technische Konsolidierung, die Projektausrichtung und die Service orientierung auf den Weg gebracht. Dass Prozesse beschleunigt und Termine gehalten werden, ist allen ein großes Anliegen. Zudem haben sich die neuen Strukturen etabliert, etwa das Zusam- menspiel von Verfahren, Projekten, Gesamtleitung und Stabsstellen. Mit dem Verfahrensforum wurde dafür sogar eine neue Kommunikationsplattform geschaffen. »Einer der großen Erfolge des letzten Jahres«, sagt Wolfrum, »weil die Verfahren erleben: Sie werden gefragt. Und sie dürfen mitreden.«

Verantwortung, Loyalität und Commitment

Im vergangenen Jahr hat die Gesamtleitung das Miteinander innerhalb von KONSENS unter anderem in einer Workshopreihe zum Thema gemacht. Zum Auftakt kamen mehr als 100 Vertreterinnen und Vertreter der Verfahren, des Bundes und der Länder zusammen. »Eine besondere Konstellation«, sagt Daniel Auwermann, Gründer der Organisationsberatung TRAFO, der mit seinem Team den Change-Prozess begleitet hat. KONSENS sei als Organisation besonders divers aufgestellt. Mit der Verwaltung, den Landes- und Bundesministerien auf der einen und den IT-Profis auf der anderen Seite prallten sehr unterschiedliche Kulturen aufeinander. »Aber alle übernehmen Verantwortung, zeigen eine hohe Loyalität untereinander und ein Megacommitment«, so Auwermann. »In der Organisationsentwicklung ist ein Prinzip, dass die Organisation zur Wertschöpfung und zum Unternehmenszweck passen muss. Das ist bei KONSENS zu 100 Prozent der Fall. Das Verantwortungsbewusstsein dafür ist hoch, dass Trial-and- Error bei der Verwaltung von rund 750 Milliarden Euro Steuern keine Option ist und jedes Produkt absolut korrekt sein muss.«

Das gilt auch dann, wenn aus der Politik kurzfristig Entwicklungsaufträge eingehen: Als der Bundestag zum Beispiel die Corona-Wirtschaftshilfen beschlossen hatte, mussten diese innerhalb von Wochen in der Steuer-IT abgebildet werden. Der Regelprozess mit der Priorisierung der Anforderungen und der aufwendigen Abstimmung der Lastenhefte ist dann zu langwierig. Damit auch unter Hochdruck strukturiert gearbeitet wird, Leistungen am Architekturstandard ausgerichtet und Dokumentationspflichten eingehalten werden, hat KONSENS kürzlich den neuen BUDA-Prozess, kurz für »Beschleunigte Umsetzung dringlicher Anforderungen«, eingeführt. Er gibt klare Verantwortlichkeiten und Schritte vor. »Sonst führt das dazu, dass die Lösung vielleicht zeitgerecht ist, aber nicht ins Umfeld passt«, sagt Gesamtleiter Sven Wolfrum. »Mit dem BUDA-Prozess sind wir gut für die Zukunft aufgestellt.« Was die Zukunft sonst noch bringt? Da zählt Wolfrum gleich mehrere Projekte auf: die Umsetzung der technischen Zielarchitektur. Die Umstellung auf die Cloud. Eine einfach bedienbare Steuer-App. Die Digitalisierung der letzten papierbasierten Prozesse. Vielleicht sogar Chats und Videotelefonate mit dem Finanzamt. Um die Pflichten aus den Steuergesetzen zu erfüllen, brauche es in jedem Fall »intuitive, leichtgewichtige Möglichkeiten.«

Erfolgreiches eGovernment

15 Jahre nach Inkrafttreten des Verwaltungsabkommens hat KONSENS hinter seinen wichtigsten Auftrag regelmäßig ein grünes Häkchen setzen können: »KONSENS hat es bisher immer geschafft, die Software zur Festsetzung und Erhebung der Steuern rechtzeitig zur Verfügung zu stellen und auf diese Weise das Gemeinwesen Deutschlands zu sichern«, sagt Wolfrum. Intern habe man zudem immer zusammengehalten:
»Selbst wenn wir erkennen, dass etwas nicht optimal läuft, suchen wir zusammen nach der optimalen Lösung.« Und schließlich gibt es noch die positiven Rückmeldungen von Dritten: ELSTER wurde mehrfach ausgezeichnet. Viele andere Ressorts, Kommunen und Länder können die ELSTER-Zertifikate zur Authentifizierung auf ihren Portalen nutzen. Und auch das ELSTER-Unternehmenskonto könnte künftig weitere Dienstleistungen integrieren. »KONSENS ist meiner Einschätzung nach das erfolgreichste eGovernment-Vorhaben der Verwaltung«, bilanziert Wolfrum. »Unsere Erfahrungen und die des Verfahrens ELSTER fließen aktiv in die Digitalisierungsüberlegungen in Deutschland ein.
 

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Daniel Auwermann

 »Das Commitment des Teams von KONSENS ist ein Garant dafür, dass die Steuer-IT korrekt funktioniert. Niemand möchte, dass unsere Steuer über eine Betaversion läuft.«

 

Anmerkung: Zum 1. August 2022 hat Sven Wolfrum die Leitung der Steuerungsgruppe IT übernommen. Er ist seither nicht mehr KONSENS-Gesamtleiter.